Nach dem gestrigen Sieg war die Stimmung natürlich bestens. Bevor ich schlafen ging, rief ich noch meine Mama an – ich hatte viel zu erzählen, und Mama wollte alles ganz genau wissen. Danach schlief ich trotz Vollmonds wunderbar.
Am Morgen klingelte um 7:45 Uhr der Wecker. Ich machte mich frisch, schnappte mir mein Buch und ging um 8:10 Uhr zum Vorgespräch bei Philipp. Das ist immer spannend, weil Philipp genau weiß, wie man einen Gegner einschätzt und was man in der Eröffnung am besten spielt. Praktisch ist, dass unsere gesamte deutsche Delegation im gleichen Hotelbereich wohnt – man trifft sich ständig auf den Fluren oder tauscht sich in den WhatsApp-Gruppen aus.
Kurz vor 9:00 Uhr war meine Vorbereitung abgeschlossen. Ich fühlte mich sicher und zuversichtlich für das heutige Spiel gegen meinen Gegner aus Portugal.
Danach ging es mit Oma zum Frühstück. Das Wetter war traumhaft – blauer Himmel und Sonne. Wir beschlossen spontan, noch eine kleine Bootstour zu machen, bevor ich nachmittags zur Runde musste. An der Promenade standen viele Fischerboote, und wir suchten uns eines aus.
Der erste Bootsmann wollte 50 Euro, das war uns etwas zu viel. Gleich daneben lag ein älteres, kleines Boot – etwas in die Jahre gekommen, aber mit Charme. Der Skipper stellte sich als Branko vor, ein freundlicher Montenegriner, der auch ein bisschen Deutsch sprach. Er bot uns die Tour für 30 Euro an – eine halbe Stunde später legten wir ab.
Oma bestand darauf, dass ich eine Schwimmweste trage. Branko suchte erst ewig mit einem langen Haken im Boot herum, bis er eine fand – allerdings war sie wohl noch aus alten Zeiten. Schließlich bekam ich eine neuere, die wirklich passte, und dann ging es los.
Wir fuhren an der Altstadt von Budva, der kleinen Kirche und der berühmten Ballerina-Statue vorbei, wo ich vor ein paar Tagen noch geklettert war. Das Meer war ruhig, die Sonne funkelte auf den Wellen, und ich durfte sogar Omas Kamera benutzen, um Fotos zu machen. Es hat riesig Spaß gemacht, die Küste zu fotografieren und das alles mal vom Wasser aus zu sehen.
Wir kamen bis zur Grünen Lagune und fuhren dann weiter Richtung Sveti Nikola, einer kleinen Insel vor der Küste, die im Sommer „Hawaii Beach“ genannt wird. Jetzt, außerhalb der Saison, war dort alles ruhig – keine Touristen, keine Boote, nur das Rauschen des Meeres. Auf dem Rückweg erzählte uns Branko, dass sein Boot schon über 20 Jahre alt ist und im Winter im Wasser bleibt, weil es kaum Frost gibt. Man merkte, wie stolz er auf sein Boot und seine Heimat war.
Nach anderthalb Stunden legten wir wieder sicher im Hafen an. Es war eine wunderschöne Tour – ruhig, friedlich und ein perfekter Ausgleich zum Turnieralltag.
Nach dem Mittagessen ging es um 13:40 Uhr zur Spielhalle. Ich fühlte mich ausgeruht und motiviert. Aber leider sollte es heute nicht mein Tag werden. Nach etwa drei Stunden Spielzeit musste ich die Partie verloren geben – diesmal, weil ich einfach nicht gut gespielt hatte.
Ich war enttäuscht, aber Oma tröstete mich sofort. Sie meinte, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt und jede Niederlage ein Schritt mehr an Erfahrung ist. Und sie hat recht – schon die Teilnahme an einer Jugend-Europameisterschaft ist ein riesiger Erfolg, und sie sagte, sie sei stolz auf mich, egal wie das Ergebnis ausfällt. Das tat gut zu hören.
Beim Abendessen um 19:15 Uhr saßen wir wieder in unserem kleinen Lieblingsspeisesaal. Dort lernten wir Oliver kennen, einen Jungen aus Finnland, der ebenfalls in der U10 spielt. Wir kamen schnell ins Gespräch und spielten noch eine Runde Kniffel zusammen, während wir auf die Auslosung für den nächsten Tag warteten.
Als die Paarungen kamen, stellte sich heraus, dass Oliver gegen einen Jungen von der Insel Kos spielen würde, und ich einen anderen Gegner bekam. Wir wünschten uns gegenseitig viel Erfolg für die letzte Runde.
Heute wollte ich keine Analyse mehr bei Philipp machen – ich wusste genau, wo meine Fehler lagen. Morgen will ich einfach noch einmal alles geben, ruhig bleiben und die Europameisterschaft mit einem guten Gefühl beenden.
Euer
Jonathan Luis